Jele Mailänder

Kleine Bäume können flüstern

Da ist mehr Grün, als wir zu hoffen wagen.

01.12.2022 | Geistlich leben | 0 Kommentare

Foto von Sophia Jung | instagram.com/sophiajuu

Jele Mailänder

In meinem Journaling-Kalender habe ich an zwei Tagen einen Baum über die Seite gemalt. Diese beiden Tage bleiben terminfrei. An einem Tag Ende Februar und den anderen Anfang März möchte ich gerne die Sonnenstunden des Tages im Wald verbringen. Allein. Smartphone und Notizbuch bleiben zuhause.

Der erste Tag ist ein Mittwoch. Ich gehe früh am Tag los. Es ist trüb und regnerisch. Ich bin warm eingepackt. In den vergangenen Tagen sind gleich mehrere Stürme über Deutschland gefegt. Eine Freundin warnt mich, bevor ich losziehe: „Sei vorsichtig! Die Zeit nach dem Sturm ist oft genauso gefährlich wie der Sturm selbst.“ In den Baumkronen hängen noch immer starke Äste, häufig wie am seidenen Faden. Die können selbst bei völliger Windstille noch Tage später unvermittelt herunterfallen. Auch Bäume, die vom Wind nur angeschoben sind, brechen oft ganz ohne Wind um.

Mir kommen bei dem Satz die Stürme der vergangenen zwei Jahre in den Sinn: Lockdown an Lockdown, Unsicherheit, Homeschooling, Todeszahlen, Sorgen. Und jetzt KRIEG in Europa. Sturm an Sturm fegt über uns hinweg. Vor meinem inneren Auge tauchen die Bilder auf, die Frauen und Kinder in überfüllten Zügen und die verwackelten Videos, die Bombenangriffe zeigen.

Die kleine Buche sagt: „Es wächst – unter der Oberfläche. Da ist mehr Grün, als wir zu hoffen wagen. Da ist mehr Hoffnung, als wir glauben. Eine andere Zeit wird anbrechen – auch wenn wir sie gerade noch nicht sehen.“

Mir kommen bei dem Satz die Stürme der vergangenen zwei Jahre in den Sinn:

Lockdown an Lockdown, Unsicherheit, Homeschooling, Todeszahlen, Sorgen. Und jetzt KRIEG in Europa. Sturm an Sturm fegt über uns hinweg.

Im Wald sehe ich eine Menge totes Holz. Hier und dort knarren Bäume, Äste hängen abgebrochen in den Bäumen oder liegen auf den Wegen. Das letzte braungraue Laub vom Vorjahr liegt herum. Es ist grau. Trüb. Während in den Gärten schon die ersten Schneeglöckchen und Krokusse blühen scheint sich hier nichts zu tun. „Passt ja gut zu Jahreszeit der Welt: grau und sehr trostlos.“ An dem Abend komme ich müde und ausgefroren nach Hause zurück. Was ich gesehen habe, ist totes Holz, altes Laub und die Zerstörung, die die Stürme in den letzten Tagen angerichtet haben.
Mein nächster geplanter Waldtag ist ein Donnerstag. Seit meinem letzten Besuch hier sind acht Tage vergangen. Ich bin nicht sehr erwartungsvoll. Doch nach ein paar Schritten im Wald, legt sich etwas auf meine Seele. Ich kann es zunächst nicht genauer beschreiben und schiebe es auf die Sonnenstrahlen, die sich tatsächlich vorsichtig durch den Baumwipfel schieben. Es riecht heute intensiv. Ich setze mich irgendwann im Laufe des wärmer werdenden vormittags auf ein Moosbett, erstaunt, dass es trocken ist. Vorsichtig lege ich mich hin, überrascht wie weich, trocken und wohlig das braungrüne Moos sich anfühlt. Die Sonne kommt hier direkt durch die hohen Bäume auf meinen Platz und scheint mir ins Gesicht. Meine Gedanken werden langsam und ich schließe die Augen.
Als ich aufwache und auf meine Uhr schaue, stelle ich fest, dass ich mehr als eine Stunde intensiv auf dem Moos geschlafen habe. Im Liegen nehme eine kleine Buche wahr, die neben meinem Moosbett wächst. Sie ist zart, aber die winzigen Blättchen an den kleinen Ästen schimmern grün. Sie werden sich in den nächsten Tagen weiter nach draußen schieben. Ein Gedanke in mir wird laut: „Es wird tatsächlich Frühling!“ Was letzte Woche im Wald noch wie Totholz und grau in grau aussieht, ist heute – acht Tage später – mit einem leichten Schimmer an hellgrün unterbrochen. Man hört die ersten Vögel zwitschern. Die kleine Buche, zu der ich von meinem Moosbett schaue, scheint mir zuzuflüstern: „Da ist mir mehr als totes Holz. Dieser Wald wird wieder blühen. Was du nur ahnen kannst, wird in einigen Tagen schon sichtbare Realität sein.“ Ich setze mich auf und mir kommt eine Erinnerung: „Ich will etwas Neues schaffen. Es wächst schon. Erkennst du es denn nicht?“ Die uralten Worte aus der Bibel stehen im Jesajabuch und sind die Ermutigung an ein Volk, das keine Hoffnung hat. Die kleine Buche sagt: „Es wächst – unter der Oberfläche. Da ist mehr Grün, als wir zu hoffen wagen. Da ist mehr Hoffnung, als wir glauben. Eine andere Zeit wird anbrechen – auch wenn wir sie gerade noch nicht sehen.“ Daran erinnert mich der Wald. Und er erinnert mich an Gott, der mir an diesem Vormittag mit der kleinen Buche zuraunt: „Ich werde es wieder zum Leben erwecken! Glaube der zarten Hoffnung. Dort, wo du nur grau siehst, sehe ich Neues, Aufwachsendes und Zukunftsweisendes.“ Es wird eine Zeit nach dem Sturm kommen. Wir werden mit den Aufräumarbeiten beginnen. Platz für Neues schaffen und es Blühen sehen!
Lieber Wald und liebe kleine Buche dort neben dem Moos. Ihr habt mich an diesem Märztag an Hoffnung erinnert. Und an Gott, der sie wachsen lässt.

Lieber Wald und liebe kleine Buche dort neben dem Moos. Ihr habt mich an diesem Märztag an Hoffnung erinnert. Und an Gott, der sie wachsen lässt.

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