Jele Mailänder

Bin ich zu emotional? –

Leiten mit Gefühl

Jele Mailänder
Frauenfragen

Hier schreibe ich über uns. Frauen. Was uns bewegt. Und wie wir unsere Berufung zu Leitung und Verkündigung an der Seite von Männern annehmen können. Wir nehmen unseren Platz ein. Dabei stellen wir Fragen. Fragen, die auch Männer bewegen.

Wir sind in einer Besprechung für eine Veranstaltung, die von verschiedenen Verbänden getragen wird. Meine Nebensitzerin bricht plötzlich in Tränen aus: „Ich habe den Eindruck, dass meine Ideen überhaupt nicht wahrgenommen werden! Ich fühl mich einfach nicht wohl in diesem Team!“ Ein paar von uns sind peinlich berührt. Eine Kollegin wühlt in ihrer Tasche, um der Weinenden ein Taschentuch zu reichen. Ein anderer Kollege steht auf, öffnet ein Fenster: „Wir machen eine Pause, damit wir wieder ein bisschen nüchterner werden.“

„Na toll …“, denke ich mir: „wieder mal alle Stereotypen erfüllt! Die heulende Frau und der nüchterne Mann.“

Da kommt sie mir, die Frage: Sind wir Frauen zu emotional? Braucht Leitung nicht auch immer eine Spur Nüchternheit? Braucht es nicht immer auch emotionale Zurückhaltung, damit Leitung effektiv und sachlich bleiben kann? Gibt es nicht einfach zu viele Reibungsverluste bei dramatischen Gefühlsausbrüchen? Und sind Männer deshalb nicht einfach grundsätzlich die besseren Leitenden als Frauen?

„Langsam … langsam“, sagt meine innere Stimme. „Sind Frauen denn wirklich immer emotionaler oder ist das nur ein Vorurteil?“ Zumindest der Großteil von ihnen ist es. Sagen Studien.(1) Und irgendwie auch meine Erfahrung. Nicht, dass Männer weniger Gefühle hätten, aber offensichtlich erleben sie die nicht in dieser Dringlichkeit und Spontanität. Frauen reagieren unmittelbarer auf Ereignisse mit Gefühlsausbrüchen. Nüchterne Frauen sind uns immer auch ein bisschen suspekt. Emotional zurückhaltende Männer gelten als kompetenter.

Sind wir Frauen zu emotional? Braucht Leitung nicht auch immer eine Spur Nüchternheit? Braucht es nicht immer auch emotionale Zurückhaltung, damit Leitung effektiv und sachlich bleiben kann?

Mein Weg

Gefühle hindern uns ja nicht grundsätzlich an einem guten Leitungsstil. Im Gegenteil: Gefühle führen zu Handlungen.

Wohin also mit unseren Gefühlen, wenn wir leiten? Ich halte es mit Dallas Willard. Er hätte es nicht treffender sagen können: „Gefühle sind gute Diener, aber katastrophale Herren.“ (2)

Gefühle hindern uns ja nicht grundsätzlich an einem guten Leitungsstil. Im Gegenteil: Gefühle führen zu Handlungen. Das sagt schon das Wort „Emotion“. Darin steckt der lateinische Begriff „movere“ für „bewegen“. Der Zusatz „e-“ meint „hin“. Es geht also bei einer E-Motion um ein „Hinbewegen“. Gerade das macht Emotionen ja so wichtig. Sie beeinflussen und verändern unser Handeln entscheidend. Gefühle können uns also in gute Richtungen bewegen und der Motor für das richtige Handeln sein. Wenn sie allerdings ausschließlicher Grund für unser Tun werden, wird es gefährlich. Sie brauchen ihren Platz – sollten nicht das alleinige Sagen haben. Sicher. Aber sie brauchen auch ihren Platz – wollen gehört und wahrgenommen werden. Das ist eben auch sicher. Und wer weiß? Vielleicht spielt ja der Heilige Geist manchmal die Klaviatur der Gefühle?

 

Eine befreundete Pfarrerin hat ihre Gefühle nicht unterdrückt: Bei einer lauten PEGIDA-Demonstration, bei der Hass-Parolen und Menschenfeindlichkeit – auch im Namen Gottes – hinausgebrüllt wurden, hat sie die Wut gepackt. Sie selbst sagt: „Mich brachte das in innere Wallung.“ Sie überlegte, lud zum Beten ein und ließ bei der nächsten Demo die Kirchenglocken in voller Lautstärke läuten. Direkt neben und während der PEGIDA-Demonstration. Hassparolen und Anführerschreie gingen unter. Eine Bewegung wurde losgetreten. Sie bekam Hassmails, ihr wurde öffentlich gedroht. Aber es gab auch das andere: Solidarität, Anerkennung und Mitgefühl wurden ausgesprochen. Sie wurde zum Vorbild für viele andere Pfarrerinnen und Pfarrer.

Mein Impuls

Gefühle gehören für mich zum Leitungs-Know-How

Und so gehören Gefühle für mich zum Leitungs-Know-How. Es geht nicht darum, unüberlegt und nur im Affekt zu handeln. Aber wir dürfen gefühlvoll leiten: durchdacht und emotional. Damit können nämlich Bewegungen losgetreten werden. Durchaus geistliche Bewegungen.

Liebe Ladys: Geht mit möglichst vielen Emotionen in die Leitung! Sie werden euch dienen! Aber lasst euch nicht nur von ihnen leiten! Es muss ja nicht immer gleich ein Heulkrampf sein!

Liebe Männer: Werdet endlich emotionaler! Es muss ja nicht gleich ein ganzer Tränenerguss sein. Aber E-Motion muss drin sein! Dann bleiben wir alle miteinander „in Bewegung“!

Sind wir Frauen zu emotional? Nein! Sind wir nicht. Wir bringen eine Emotions-Kompetenz zum Leiten mit. Und ab und zu dürfen wir den Gefühlen ihren Platz zuweisen

Geht mit möglichst vielen Emotionen in die Leitung! Sie werden euch dienen! Aber lasst euch nicht nur von ihnen leiten!

PS: Die Teamsitzung mit der heulenden Kollegin war der Anfang eines Prozesses. Zum Glück gab es einen guten Leiter. Der hat die Gefühle der Kollegin ernst genommen. Und tatsächlich hat sich herausgestellt, dass im Team einiges schief lief.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Noch mehr von mir lesen über

Ich übe noch. Leben in der Gegenwart

Eine Sache fang ich dauernd neu an. Ich übe seit Jahren. Weil sich diese Sache Zeit braucht. Übung. Wiederholung.
Es geht dabei um Achtsamkeit. Ich sehne mich danach ganz im Hier und Jetzt zu sein: körperlich und mental. Ich sehne mich nach der Bereitschaft, das anzunehmen, was da ist. Ohne dabei die Gefühle und Gedanken zu bewerten. Oder sie zu vermeiden. Für mich als aktiven Menschen ist das wirklich eine Herausforderung. Also übe ich.

Was hilft gegen FOMO [Fear Of Missing Out]? Oder: Wie die Angst, etwas zu verpassen loswerde!

Ich gebe zu: Ich leide an FOMO.

Das ist die Abkürzung für „Fear of missing out“, also die Angst etwas zu verpassen. Es ist die Sorge, dass hinter der nächsten Ecke etwas noch Besseres auf mich wartet.

BIs jetzt habe ich Menschen immer belächelt, die sich bis zuletzt alle Möglichkeiten offen gehalten haben. Und die an FOMO gelitten haben. Bis es mich selbst erwischt hat.