Auf Augenhöhe

Warum Männer und Frauen gemeinsam besser sind

Jele Mailänder

Mich bewegt die Frage des Miteinanders von Frauen und Männern in Wellen. Gerade in den ersten Berufsjahren war ich eher irritiert, wenn Frauen laut nach Gleichberechtigung gerufen haben. Ich habe es als Störung empfunden, wenn sexistische Äußerungen offen als solche angeprangert wurden oder Frauen auf patriarchale Systeme hinwiesen. „Mir steht doch alles offen. Was ist das Problem?“, habe ich mich gefragt. Auch heute noch bin ich davon überzeugt, dass wir nicht jeden Kampf laut und aggressiv ausfechten müssen. Sondern dass es langfristige Veränderung braucht. Aber es braucht sie.

 

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Auf Augenhöhe. Warum Frauen und Männer gemeinsam besser sind. Ein Plädoyer.Hier geht es zum ganzen Buch, bei dem viele Autorinnen und Autoren zum Thema mitgewirkt haben. 

Gelebtes Miteinander

Die Herausforderungen unserer Zeit sind definitiv viel zu groß, als dass Männer ODER Frauen sie alleine stemmen könnten. Es gibt noch so viel weibliches UND männliches Potenzial in Gesellschaft und Kirche, speziell auf Leitungsebene, das brachliegt und das wir endlich in seiner ganzen Schönheit, Fülle und Kraft ausleben sollten!

Ich plädiere nicht dafür, dass Frauen an die Macht und Männer endlich in den Keller sollten. Ich plädiere auch nicht dafür, dass Unterschiede zwischen Männern und Frauen aufgehoben und ausradiert werden. Wir sind verschieden. Unterschiedlichkeit ist göttlich. Darum geht es nicht. Nein, ich plädiere für ein Gemeinsam! Für Gleichberechtigung! Ein Miteinander! Weil das zutiefst der genialen Schöpfungsordnung Gottes entspricht. Und ich leide daran, wo dieses Miteinander nicht gelebt wird. Wo wir uns verstricken in der Männer- oder-Frauenfrage, wo keine Gleichberechtigung herrscht und subtil alte, zerstörerische Rollenbilder gelebt werden. Weil wir damit nichts weniger tun, als weit hinter dem zurückzubleiben, wie Gott sich ein Miteinander vorgestellt hat. Wir bleiben damit hinter unserer Berufung als Christinnen und Christen zurück.

Als Referentin, Autorin und Sprecherin bin ich mit drei Aussagen immer wieder konfrontiert. Diese weisen unmittelbar auf tiefere Systemfragen hin und zeigen, wie groß unser Handlungsbedarf ist:

1. „Wir sind noch auf der Suche nach einer Frau. Da bist du uns eingefallen.“

Mal ganz abgesehen davon, dass ich tatsächlich gerne wegen meiner Fähigkeiten, Berufung oder eines bestimmten inhaltlichen Themas angefragt werde und nicht wegen meines Geschlechts, sagt dieser Satz ganz viel über unser System aus. (Wenn du ein Mann bist: Wurde dir jemals gesagt: „Wir suchen noch einen Mann, da bist du uns eingefallen“? Und wenn du das gefragt werden würdest, was würdest du antworten?) Frauen sind gesucht und werden offensichtlich nicht so einfach gefunden! Es ist eine gute und wegweisende Entwicklung, dass überhaupt endlich mehr Frauen auf Bühnen und Veranstaltungen gesehen werden wollen. Ich frage mich aber, wie wir in einen Systemwechsel kommen. Wie gelingt es uns, dass Frauen für Leitung und Verkündigung selbstverständlich angefragt werden? Wie verändern wir langfristig unsere Veranstaltungen und Formate so, dass Frauen und Männer gleich sichtbar sind?

2. „Wir wollten dich nicht fragen, weil du ja mit deinen Kindern so viel zu tun hast.“

Mal ganz abgesehen davon, dass ich gerne selbst entscheiden möchte, ob ich wann wie viel zu tun habe, freue ich mich über die Fürsorge, die ja hinter dieser Aussage steckt. Die braucht es nämlich tatsächlich. Es braucht sie aber auch für Väter! Unser System ist häufig immer noch so angelegt, dass es selbstverständlich ist, dass Frauen einen Großteil der familiären Care-Arbeit und Kindererziehung übernehmen. Doch braucht es beide – Männer und Frauen – für diese Aufgaben. Wie können wir unsere Werke, Kirchen und Verbände so umgestalten, dass es selbstverständlich wird, dass Männer und Frauen in Teilzeit arbeiten, um ihre beiden bzw. vielfältigen Berufungen leben zu können? Wie können wir sicherstellen, dass es kein K.O.-Kriterium mehr ist, dass die Frau nun mal die Kinder bekommt und damit für Leitungs- und Verkündigungsanfragen auf die „Ersatzbank“ gesetzt wird?

 

3. „Wir haben schon ganz viele Frauen gefragt, aber die haben uns alle abgesagt.“

Mal ganz abgesehen davon, dass es ein nettes Gefühl ist, als eine von wenigen Frauen in einem Gremium zu sitzen oder bei einer Veranstaltung zu sprechen und dafür gelobt zu werden, halte ich den Hintergrund dieser Aussage auch für einen Systemfehler. Warum sagen Frauen ab? Warum werden immer dieselben Frauen angefragt? Welche Sitzungs- und Veranstaltungskultur herrscht eigentlich, dass ein Großteil der Frauen es überhaupt nicht erstrebenswert findet, in einem bestimmten Kreis zu sitzen und mitzuentscheiden? Und könnte es nicht auch ein Übertreibung sein, dass „so viele Frauen“ angefragt werden? Denn es gibt inzwischen wirklich viele Frauen, die ihre Leitungsberufung in christlichen Werken und Kirchen leben. Liegt der Beginn dieser Absagen daher im System nicht schon viel früher? Dass Frauen eben nicht entsprechend in Erscheinung treten, weil sie überhaupt nicht auf dem inneren Bildschirm der Organisatoren erscheinen?

Mein BIld für die zukunft

Ich habe keine fertigen Antworten auf diese Systemfragen. Aber ich benenne sie. Wo nötig: laut! Denn an den Antworten auf diese Fragen wird sich zeigen, wie ernst und wie ehrlich wir es mit dem Miteinander auf Augenhöhe meinen. Hier einige Antwortversuche bzw. hier mein Bild von der Zukunft:

  • Frauen und Männer werden gleichermaßen in ihren Lehr- und Leitungsbegabungen gefördert. An missionalen Ausbildungsstätten, an den Unis und Hochschulen, in unseren Kirchen, Werken und Verbänden gibt es Mentoring- und Schulungsmethoden, die dafür sorgen, dass ehren- und hauptamtliche Mitarbeitende beider Geschlechter selbstverständlich gefördert werden.
  • Teilzeitanstellungen sind auch für Väter jederzeit und ohne Einschränkung möglich. Dasselbe gilt für Frauen. Leitungsämter sind für Frauen und Männer auch in Teilzeitmodellen lebbar. Die Strukturen und Rahmenbedingungen werden so beschaffen sein, dass dies sogar erwünscht ist.
  • Frauen helfen sich gegenseitig darin, ihre Leitungs- und Verkündigungsberufung zu leben, indem sie in ihren Netzwerken und bei Anfragen aufeinander verweisen, sich austauschen, sich gegenseitig ermutigen und jede Form der sexistisch orientierten Benachteiligung benennen. (Anmerkung für Frauen: Das beste Mittel gegen Neid ist die Übung, der anderen etwas zu gönnen.)
  • Veranstaltungen, Programme und strategische Weiterentwicklung werden von beiden Geschlechtern gleichermaßen (!) gestaltet: vor und hinter der Bühne. Bereits in der langfristigen Vorbereitung wird auf das „Gemeinsam“ Wert gelegt.
Gleichberechtigung findet sich in der Schöpfungsgeschichte

Und warum das alles? Warum rufen wir nach Gleichberechtigung? Warum klagen wir darüber, dass Frauen in unseren Kirchen noch immer nicht gleich sichtbar sind wie Männer? Warum machen wir das zu unserem Thema? Weil wir dem kreativen Schöpfergott folgen, der uns in Verschiedenheit füreinander und zueinander hin geschaffen hat. Weil Gleichberechtigung von Männern und Frauen sich in der Schöpfungs-geschichte wiederfindet. GEMEINSAM sind sie Gottes Ebenbild (1. Mose 1,27).[i]

 

Noch einmal: Es geht nicht um Gleichmacherei! Sondern um ein Miteinander auf Augenhöhe! Wir finden diese Freiheit zum Miteinander der Geschlechter als Kerngedanken des Reiches Gottes in Joel 3,1–2 und bei Paulus in 1. Korinther 7,3–4; 11,11–12 und Galater 3,28. Wir lesen von leitenden und lehrenden Frauen wie Debora (Richter 4–5) und Hulda (2. Könige 22,8–20) und denen in Apostelgeschichte 18,2; Römer 16,1–7 und 1. Korinther 11,5. Und Jesus selbst bricht patriarchale Rollenbilder auf, indem er unter anderem ein theologisches Gespräch mit einer Samariterin führt und sich mit ihr auf Augenhöhe unterhält (Johannes 4,6–15). Er lobt Maria, die Schwester Martas, die offensichtlich aus ihrer zugewiesenen Rolle ausbricht (Lukas 10,39). Und Frauen sind die ersten beauftragten Zeuginnen seiner Auferstehung (Lukas 24,10).

Mehr noch: Aus der Bibel stammt unser christliches Menschenbild, das auf Offenheit und die Freiheit der Kinder Gottes ausgelegt ist (Römer 8,21). Es folgt jetzt vermutlich die Anmerkung, dass sich auch andere Texte in der Bibel finden, die dafür sprechen, dass die Rolle der Frau in der Unterordnung zum Mann liegt: 1. Mose 3,16; 1. Korinther 11,7–8; 1. Timotheus 2,15 und 3,13. An dieser Stelle gehen wir von einer kultursensiblen Bibelexegese aus, die betont, dass der Bibel ein patriarchales System zugrunde liegt. Und nein, die Bibel liefert keine einheitliche Lehre, doch ihr Grundtenor führt in die Freiheit und die Gleichberechtigung![i] Aus biblischer, aber auch aus theologisch-ethischer Sicht lässt sich unseres Erachtens daher keine prinzipielle Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern behaupten. Im Gegenteil, die sogenannte „Hausfrauenehe“ ist ein Produkt der vorindustriellen Trennung von Wohn- und Arbeitsort.[ii]

Wir halten fest: „Gott hat nicht den Geschlechterkampf geschaffen. Er hatte ein anderes Ziel mit Mann und Frau: bedingungslos gleichgestellte Partnerschaft. Kein Geschlecht steht über dem anderen, keines ist besser als das andere […]. Das ist sie, die Ordnung, die Gott mit der Erschaffung von Mann und Frau im Sinn hatte.“[iii] Nur dass sich dieses Bild eben nicht in unseren Gremien, Arbeitsaufträgen, Leitungsaufgaben und auf den Kanzeln zeigt!

Es geht also darum, dass wir unseren Schöpfungsauftrag nur dann wahrnehmen und entfalten können, wenn die göttliche Vielfalt in ihrer ganzen Breite sichtbar wird. Und das zeigt sich eben auch darin, wie viele Frauen im Verhältnis zu Männern in Leitungsämtern und im Verkündigungsdienst sind. Deshalb erheben wir mit diesem Buch unsere Stimme dafür, uns gegenseitig – Seite an Seite – in unsere Berufung hineinzulieben!

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Auf Augenhöhe. Warum Frauen und Männer gemeinsam besser sind. Ein Plädoyer.Hier geht es zum ganzen Buch, bei dem viele Autorinnen und Autoren zum Thema mitgewirkt haben.

Jele Mailänder: Auf Augenhöhe
Mein Impuls

Es geht also darum, dass wir unseren Schöpfungsauftrag nur dann wahrnehmen und entfalten können, wenn die göttliche Vielfalt in ihrer ganzen Breite sichtbar wird. Und das zeigt sich eben auch darin, wie viele Frauen im Verhältnis zu Männern in Leitungsämtern und im Verkündigungsdienst sind. Deshalb erheben wir mit diesem Buch unsere Stimme dafür, uns gegenseitig – Seite an Seite – in unsere Berufung hineinzulieben!

 

 

 

[i] Vgl. Dietz, Thorsten: https://www.reflab.ch/die-evangelikalen-und-die-frauen/ zuletzt abgerufen am 8.7.2021.

[ii] Vgl. Raedel, Christoph: Gender. Von Gender-Mainstreaming zur Akzeptanz sexueller Vielfalt. Brunnen Verlag Gießen 2017. S.138.

[iii] Schmidt, Veronika: Endlich Gleich! Warum Gott schon immer mit Männern und Frauen rechnet. SCM Verlagsgruppe 2019. S.21.

2 Kommentare

  1. Judith Beständih

    Tschakka. Danke für diesen grandiosen artikel! Mir ging es zu beginn meiner Zeit in der Arbeitswelt wie dir. Mir waren die Probleme nicht bewusst denn meinem Empf nach stand mir die Welt offen. Danke Für deine weisen worte zum thema. Ich denke ich werde sie mit dem Buch mal vertiefen 😘

    Antworten
    • Jele Mailänder

      YES! Danke Judith! Es bleibt wohl ein spannendes Thema, das wir miteinander weiter voran bringen sollten. Und vielleicht sind wir gar nicht so schnell fertig damit… Ist doch auch irgendwie sonderbar, dass wir das Thema als schwerer empfinden, wenn wir länger dabei sind.

      Antworten

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