Jele Mailänder
Gnade für Playmobil-feuerwehrautos oder:
Von familien-freundlichen Gemeinden und der Deutschen Bahn
Dabei bin ich Zielgruppe. Ich bin Mutter von drei Kindern. Die sind im besten Alter: Sieben. Fünf. Und anderthalb. Allein, dass ich bei diesem Studientag sitze, grenzt an eine kirchliche Ungeheuerlichkeit. „Und wer passt auf die Kinder auf?“ (Warum wird das mein Mann nie gefragt?)
Es gibt familienfreundliche Restaurants, familienfreundliche Öffnungszeiten, familienfreundliche Hunderassen und familienfreundliche Unternehmen. Das Bundesfamilienministerium will mit dem Programm „Erfolgsfaktor Familie“ die deutsche Wirtschaft auf Vordermann bringen. Familienfreundlichkeit scheint in aller Munde zu sein.
Familienfreundlichkeit
Liebe Bahn: Die Kunden der Zukunft fahren mit Dir. Wenn ich die Deutsche Bahn wäre, würde ich alles, aber auch wirklich alles dafür tun, dass die kleinen Kunden bei euch glücklich sind.
Also mir fällt ja beim Thema „Familienfreundlichkeit“ immer die deutsche Bahn ein. Hier gibt es nämlich jetzt eigene Zugabteile für Familien, sogenannte „Familienbereiche“. Die machen angeblich das Reisen mit der Bahn besonders familienfreundlich mit Kindergarten- und Grundschulkindern. Und hier die Versprechen, der deutschen Bahn:
Wir sitzen nahe beim Klo. Weil das ja bekanntermaßen mit Kindern öfter schnell gehen muss.
Wir sitzen nahe am Eingang. Schnelles Ein- und Austeigen ist sichergestellt.
Wir haben mehr Platz. Zumindest für unser Gepäck.
Die Familienbereiche sind gekennzeichnet. Eine blaue Banderole weist uns mit weißen Lettern darauf hin, dass hier der Familienbereich ist.
Das ist also die Familienfreundlichkeit der deutschen Bahn. Ziemlich praktisch, wie ich finde. Mehr aber auch nicht. „Liebe Bahn! Ich hab ja nicht viel Ahnung von Marketing und ich will nicht undankbar sein. Ein Klo und der Eingang in der Nähe sind praktisch. Platz für unser Gepäck und die blaue Banderole passen schon. Aber in mir löst das keinen Jubelschrei der Begeisterung aus. Liebe Bahn: Die Kunden der Zukunft fahren mit Dir. Wenn ich die Deutsche Bahn wäre, würde ich alles, aber auch wirklich alles dafür tun, dass die kleinen Kunden bei euch glücklich sind. Dann sind es nämlich auch die „Großen“. Ihr tragt so ein großes Zukunftspotential in euch: Ihr seid ökologisch, klimaneutral, zuverlässig und immer öfter auch pünktlich. Sorgt dafür, dass die Kleinen euch lieben und ihr habt für alle Zukunft ausgesorgt. Und Nein: Damit meine ich nicht den Pragmatismus eines nahen Klos, eines zugigen Abteils nahe am Ausgang, mehr Platz für Gepäck und diese blaue Banderole. Ich meine damit glückliche Kinder, die irgendwann zu zufriedenen Kunden werden.“
Mein Weg
Wenn ich die Kirche wäre, würde ich Spielplätze in die Kirche bauen, zeitweise auch Kirche auf dem Spielpatz veranstalten.
Und während ich in Gedanken von einem Spielplatz im ICE, einem Kinderkino im RE oder einem Maltisch im IC träume, komme ich auf den Boden der Tatsache zurück.
Wo hatten wir begonnen? Bei der familienfreundlichen Gemeinde. Ich grüble: Machen wir vielleicht in der Kirche dieselben Fehler wie die Deutsche Bahn? Zu viele pragmatische und zu wenig eindeutige und zu wenig zukunftsweisende Lösungen? Zu viel „blaue Banderole“ und zu wenig Liebe zum Detail? Wer in Zukunft investiert, der investiert am besten in Kinder und damit Familien und Jugendliche. Und dann sollten wir das auch wirklich ernsthaft tun:
Denn in vielen Gemeinden sieht es doch so aus: Damit ein Familiengottesdienst zum Familiengottesdienst wird, gibt allenfalls zwei Kinderlieder und die Pfarrerin trägt eine bunte Stola. Familienfreundlich ist ein Kirchengebäude dann, wenn Platz für einen Kinderwagen oder ein Wickeltisch in der Toilette für Menschen mit Behinderung angebracht ist. Familienfreundlich ist eine Gemeinde dann, wenn neben den anderen Angeboten in regelmäßigen Abständen eine Frau (!) biblische Geschichten mit bunten Bildern erzählt. Oder es sogar noch Kindergottesdienst gibt. Ich hab ja nicht viel Ahnung von Marketing…. Aber ob das reicht? Ob das die Zukunft der Kirche verändern wird?
Wenn ich die Kirche wäre, würde ich Spielplätze in die Kirche bauen, zeitweise auch Kirche auf dem Spielplatz veranstalten. Wenn ich die Kirche wäre, würde ich einzelne Kirchengemeinden zu „Familienkirchen“ erklären. Und wenn ich die Kirche wäre, würde ich nicht von „familienfreundlicher Gemeinde“ sprechen, sondern von „Familienkirchen“. Und dann fange ich an zu träumen. Von Kirchen, die an die Villa Kunterbunt erinnern. Von Kirchen, in denen die Kinder das Sagen haben. Und die Erwachsenen lernen. Wo die Botschaft der Bibel alle anspricht. Die Kleinen beim Toben und die Großen bei einer Segnungsstation.
Ich träume von Kleckereien in der Kirche, ein Trampolin im Sakralraum, Kirchenbänke über die gehüpft werden soll und jede Menge Kekskrümel im Gemeindesaal. Ich träume von mehr Pippi Langstrumpf und wenige Annika in unseren Kirchen. Ich träume von Familien, die in der Kirche erleben, wie Jesus ihnen mitten im Chaos des Familienalltags begegnet. Ich träume von alleinerziehenden Müttern, die durchschnaufen dürfen. Ich träume von berufstätigen Eltern, die just in time kommen und auch wieder gehen dürfen. Ich träume von lauten Gottesdiensten, in denen gekugelt, gelacht, geschettert, geschnaubt und gepupst wird. Ich träume von Kindern am Mikrofon und Vätern, die Kuchen mitbringen. Ich träume von Omas, die Babys schaukeln wie ihre eigenen Enkel. Ich träume von einer Kirche, die Familien dient. Ich träume von klebrigen Türklinken. Matchboxautos. Und jeder Menge Gnade.
Jede Menge Gnade
Gnade den viel zu aufgedrehten Jungs.
Gnade bei Trotzanfällen.
Gnade den Müttern der Kinder mit Trotzanfällen.
Gnade den Vätern, die Papa, Hausmann, Manager und Geschäftsmann sein müssen.
Gnade für Mädchen in Rosa.
Gnade den überabeiteten Müttern, die die Spülmaschine in Highheels und Hosenanzug ausräumen.
Gnade für laute Playmobil-Feuerwehrautos mitten im Fürbittgebet.
Und Gnade den Jungs, die diese Sirenen lieben.
Gnade den Küstern und Mesnerinnen, die Kekskrümel wegkehren.
Gnade den Patenonkeln und Patentanten, die es nicht schaffen an der „christlichen Erziehung“ mitzuwirken.
Gnade den älteren Herren, die flüstern: „zu meiner Jugend hätte es das nicht gegeben.“
Gnade den Geflohenen, die um das Seelenheil ihrer Kinder fürchten.
Gnade den Hausfrauen.
Gnade den Jungs, die Ballerspiele bis zum seligen Einschlafen spielen
Und den Eltern der Jungs die Ballerspiele spielen.
Gnade dem Mädchen mit Glitzerwimpertusche, die schräg ins Mikro singt
Gnade den Teenagern – allen Teenagern dieser Welt.
Und Gnade den Familien, die zerbrochen sind.
Gnade den Vätern und Müttern, die
nicht mehr lieben können.
Und Gnade mir, die ich wüsste, wie es besser geht und doch so unbarmherzig fachsimple
Gnade.
Für Familien.
„Liebe Kirche: Wenn ich du wäre, dann würde ich so eine Kirche als Zukunftskirche träumen. Und dann anfangen sie zu leben!“ Ja, liebe Kirche…. Wenn ich Du wäre. Und dann fällt mir ein, dass ich Teil dieser Kirche bin – vielleicht gehöre ich ja sogar ein bisschen zur Marketingabteilung.
Und damit gestalte ich Kirche der Gegenwart mit. Mit Gnade, klebrigen Fingern und vielen Träumen für die Zukunft.
Und dann fällt mir ein, dass ich Teil dieser Kirche bin – vielleicht gehöre ich ja sogar ein bisschen zur Marketingabteilung.
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Auf Augenhöhe. Weil wir gemeinsam besser sind.
Mich bewegt die Frage des Miteinanders von Frauen und Männern in Wellen. Gerade in den ersten Berufsjahren war ich eher irritiert, wenn Frauen laut nach Gleichberechtigung gerufen haben. Ich habe es als Störung empfunden, wenn sexistische Äußerungen offen als solche angeprangert wurden oder Frauen auf patriarchale Systeme hinwiesen. „Mir steht doch alles offen. Was ist das Problem?“, habe ich mich gefragt. Auch heute noch bin ich davon überzeugt, dass wir nicht jeden Kampf laut und aggressiv ausfechten müssen. Sondern dass es langfristige Veränderung braucht. Aber es braucht sie.
In die Wildnis.
Wer aufbricht, schlägt einen neuen Weg ein. Er und sie wagen sich hinaus in die Wildnis. So nenne ich den Zustand, den Pioniere und Pionierinnen erleben, wenn sie aufbrechen, um Kirche anders auszudrücken. Oft ist es die „Struktur-Wildnis“ oder die „Unverständnis-Wildnis“, fern der „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Zivilisation“.
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